WG152 – Briefentwurf an Alma Mahler
Wien oder nach Berlin im Zug, zwischen Sonntag, 2. und Dienstag, 4. Juli 1911

Laß uns heiter sein ich
will Dich mit fortreißen, Dich
wieder ganz mit Leben
überströmen, Du mußt
wieder stark u jung werden –
kein „und ob?“ Ich weiß –
stark empfinden tiefe Seelen \Gemüter/
vergeßen nicht schnell, aber –
ich warte eben ein bißchen länger.
\Denke Du nur an Deine Gesundheit/
Bist du so froh, wie ich, daß
wir uns wiedergesehn haben und
beide wißen, daß wir nur
noch lieben?
Du schriebst mir neulich, ich sei
für Dich das Leben haltende
Prinzip – ich glaube Du auch
\Die Summe Deiner Eigenschaften scheint mir unübertrefflich/
für mich; ich weiß heute,
daß ich ¾ Jahre nur gewartet
habe, eben wie ein Bräutigam
die Braut erwartet, begreife,
daß für mich darum der
gestrige Tag vielleicht (mehr
wie für Dich jetzt) eine \süße/ Er-
lösung war bedeutete,
daß mich so heiter, sicher
machte, nicht daß ich ein Recht

[oberhalb des Briefkopfs:]
Noch kann ja nicht wieder leben und
fühlen in Deinen \ewig/ geliebten Körper zurückgekehrt sein

[neben dem Briefkopf:]
Da alles so
rein blieb
zwischen uns
Ich will Dich. und Du?

zu haben glaubte, das kein
Mensch auf den anderen besitzt.
\Ich haße, was nach Feßel aussieht/
Auch an Deiner Trauer mein
Lieb nehme ich viel tiefer
Anteil, als ich das zeigen
wollte \konnte/ in diesen sehnsüchtig
erwarteten Stunden, die eben
für mich heiter waren. Als
Du heute von mir gingst
schien mir der innere Kon-
takt wieder da

und über welche Zeiten hinaus
bin ich Dir treu geblieben,
, Du kannst nicht wissen,
was es mich gekostet hat.
                     sorge daß Du wieder gesund
                     u frisch wirst, alles übrige
                     kommt von selbst und
                     wisse


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

3 Bl. (3 b. S.) – Briefpapier mit Aufdruck: „Hotel De France, Wien, I., Schottenring 3.“ (, ), letzte Seite Querformat ().

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Beantwortet durch AM77 vom 5. Juli 1911 (Ja – mein Herz, Du hast mich ganz wieder): Ich will Dich. und Du?

Datierung

Aufgrund der Formulierung Als Du heute von mir gingst muss dieser Briefentwurf unmittelbar nach einem persönlichen Treffen mit AM in Wien verfasst worden sein, entweder noch vor WGs Abreise im Hotel oder auf dem Rückweg nach Berlin im Zug. Wahrscheinlich reiste WG am 3. oder 4. Juli 1911 aus Berlin ab (s. WG149). AMs Abreisezeitpunkt nach Toblach ist ebenfalls nicht eindeutig gesichert, jedoch muss sie aufgrund des Passus Als Du heute von mir gingst vor WG aus Wien abgereist sein und befand sich spätestens ab 5. Juli in Toblach (s. AM77). Möglich wäre demnach eine Abreise AMs aus Wien zwischen dem 2. und 4. Juli 1911, weshalb dieser Zeitraum als Datierung von WG152 vorgeschlagen wird.

Übertragung/Mitarbeit


(Fabian Müller)


A

das Leben haltende Prinzip – s. AM75 vom 23. Juni 1911: Du bist für mich das leben-haltende Princip – und ich glaube, Du wirst es für mich bleiben.